Moderne Arbeit gesund und produktiv bewältigen – wie geht das?

Prof. Dr. Karlheinz Sonntag Universität Heidelberg

Wie sieht sie aus – die beste aller (Arbeits-)welten von morgen? Was kommt auf die Beschäftigten, die Fach- und Führungskräfte, die Leitungsebene in Wirtschaft, Verwaltung und Dienstleistung zu? Wie müssen die Akteure handeln, um die personellen, organisatorischen und technischen Herausforderungen der Digitalisierung in der Arbeit zu bewältigen?


Faktenlage zur veränderten Arbeitswelt

Vergessen wir die forsch-kreativen Ergüsse aus Visionen, Anglizismen und plakativen Überhöhungen der eifrigen Zukunftsvorhersager von „Manufakturen des Wissens“, „Wohlfühltankstellen“ oder „Future Leader als Life Coach“! Entschleunigen und entschärfen wir die üppige Berater*innenprosa (Kostprobe: agil, Sprints, disruptiv). Unstrittig bei alledem ist: Veränderungen in der Arbeitswelt nehmen aufgrund der digitalen Transformation an Intensität, Dynamik und Folgenschwere für die Organisation als auch für deren Mitglieder zu. Neue Arbeitsformen zeichnen sich aus durch flexible und mobile Gestaltungspotentiale, flachere Hierarchien, variable Tätigkeitsmuster, erhöhte Eigenverantwortung sowie eine zunehmende Entgrenzung von Arbeit- und Privatleben. Die konsequente Umsetzung smarter IT-Anwendungen ermöglicht dies. Darauf müssen die Beschäftigten und Unternehmensleiter*innen vorbereitet werden. „Vorbereitet sein“ macht den Präventionsgedanken sichtbar. In diesem Sinne gilt für die digitale Transformation, Kompetenzdefizite zu erkennen und gesundheitliche Risiken von den Beschäftigten abzuwenden, Ressourcen und Schutzfaktoren zu stärken.

Sichtet man die Forschungsberichte und Beschäftigtenbefragungen, so zeigen sich beim Einsatz digitaler Anwendungen deutlich veränderte Anforderungs- und Belastungsmuster. Genannt werden höhere IT-technische Anforderungen, eine Zunahme des Aufgabenumfangs, der Arbeitsintensivierung ebenso wie häufiges Multitasking und Arbeitsunterbrechungen, die beispielsweise durch Systemabstürze oder technische Probleme entstehen und ein Mehr an täglichen Informationen aufgrund überflüssiger E-Mails durch CC-Setzung. Als negative Beanspruchungsfolgen werden Stresserleben, Frustration und Erschöpfungssymptome in den Umfragen genannt - So die weitgehend übereinstimmende Faktenlage. Wie ist darauf zu reagieren, um eine gesunde und produktive, moderne Arbeit gewährleisten zu können?


Gestaltungsfelder eines präventiven Human Ressources- und Gesundheitsmanagements

Die empirischen Befunde und skizzierte Faktenlage machen personalpolitische Gestaltungsfelder einer gelingenden Prävention in den Unternehmen sichtbar:

Strategisch und funktionale Einbindung des Gesundheitsmanagements in die Unternehmenspolitik
Es ist erforderlich in Zeiten der Digitalisierung Gesundheitsförderung strategisch und aufbauorganisatorisch im Unternehmen zu verorten. Das Thema Gesundheit hat bei weitem noch nicht den Stellenwert erreicht, den es benötigt, um den veränderten Anforderungen und Belastungsmuster der Fach- und Führungskräfte in der digitalen Transformation gerecht werden zu können. Nur eine konsequente Einbindung des Gesundheitsmanagements in die personal- und unternehmenspolitische Entscheidungsebene – auch und insbesondere für Klein und mittelständige Unternehmen (KMU) – gibt diesem Verantwortungsbereich die notwendige Autorität um proaktiv handeln zu können.

Gesundheitsförderliche Unternehmens- und Führungskultur
Die Kultur eines Unternehmens sagt etwas darüber aus wie von allen Mitgliedern einer Organisation hierarchieübergreifend bestimmte Werte und Einstellungen gepflegt und gelebt werden. Soll die Gesundheit der Beschäftigten nicht nur den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, sondern darüber hinaus real auch einen hohen Stellenwert im Unternehmen genießen, dann ist dieser normative Anspruch in den Unternehmensgrundsätzen und Führungsleitbildern festzuschreiben. Das bedeutet allerdings, auf der strategischen wie operativen Ebene durch entsprechende Maßnahmen und Verhaltensweisen glaubwürdig und vorbildlich zu handeln. Inkonsistentes und inkonsequentes Agieren zwischen Geschriebenem (Leitbildern), Verlautbartem (Ankündigungen) und Umgesetztem (Alltagshandeln) untergräbt das Bemühen der Verantwortlichen im Personal- und Gesundheitsmanagement präventive, gesundheitsförderliche Konzepte zu etablieren.

Aussagekräftige Analysen als Entscheidungsgrundlage für Interventionen
Myriaden externer Angebote zu gesundheits- und kompetenzförderlichen Interventionen stehen den Verantwortlichen im Personal- und Gesundheitsmanagement zur Verfügung. Das verleitet zu Aktionismus und fördert „Gießkanneninterventionen“. Erforderlich sind vielmehr bedarfsgerechte, zielgruppenspezifische und individuelle Angebote, will man die Chancen der Digitalisierung nutzen und gesundheitliche, qualifikatorische und motivationale Risiken verhindern. Erst auf einer solchen empirischen und differenzierten Grundlage wird es möglich, valide Interventionen für ein qualitätsgesichertes Wirken einzuleiten. Neben Bedarfsanalysen als wichtige Grundlage für personalpolitische Entscheidungen (z. B. für die Rekrutierung und Bindung von Personal) sind vor allem Anforderungsanalysen für Kompetenzmodelle und Trainings sowie Analysen zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung erforderlich. Obwohl viele Studien eine Zunahme psychischer Belastungen am Arbeitsplatz konstatieren, wird der Durchführung von Risikobeurteilungen aufgrund psychischer Belastungen noch immer wenig Beachtung geschenkt – auch wenn eine solche gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 5 ArbSchG). Befragungen, Beobachtungen und moderierte Analyseworkshops sind hier als grundsätzliche Methoden anzuführen. Objektive Begehungen vor Ort durch geschulte Analyseteams ersetzen oder ergänzen die subjektiven Einschätzungen aufgrund schriftlicher Befragungen der Mitarbeitenden.

Harmonisierung von Arbeit- und Privatleben im Homeoffice
Die Chancen der Digitalisierung ermöglichen es individuelle Handlungs- und Zeitspielräume sowie Arbeitsorte flexibel und mobil zu gestalten. Die Vereinbarkeit verschiedener Lebensbereiche (Arbeit, Familie, Freizeit) spielt dabei eine wesentliche Rolle. Ein harmonisiertes Arbeits- und Privatleben geht einher mit einem verbesserten Gesundheitsempfinden, positiven Arbeitseinstellungen, Zufriedenheit und einer gesteigerten Arbeitsleistung. Sowohl auf einer organisationalen als auch auf einer individuellen Ebene muss eine Sensibilisierung für dieses Gestaltungsfeld und der Aufbau individueller Ressourcen stattfinden.

Ein aktuell und zukünftig bedeutsames Beispiel ortsflexiblen Arbeitens ist die Tätigkeit im Homeoffice. Einerseits wird dadurch die Attraktivität des Arbeitsplatzes im „War for Talents“ gesteigert und die Beschäftigten können entsprechend ihrer Lebensmodelle Arbeit flexibel gestalten. Andererseits erfordert das Arbeiten zu Hause von den Beschäftigten ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Disziplin, selbstregulatorische Fähigkeiten und ein gutes Zeitmanagement. Die Größe des Familienverbundes und die sozialen Lebensumstände beeinflussen die Ausgestaltung von Homeoffice. Es sind vielfältige Faktoren zu berücksichtigen: Nicht nur die berufliche Tätigkeit, der IT-technische Support, der Familienverbund, das Wohn- und Arbeitsumfeld und die Persönlichkeit sind zu beachten. Homeoffice setzt auch eine Vertrauenskultur und einen wertschätzenden Führungsstil voraus.

Führungsverhalten und Veränderungsbereitschaft
Auf der Suche nach Ressourcen und potenziellen Stressoren spielen Führungskräfte eine zentrale Rolle. Sie sehen sich der Herausforderung gegenüber Veränderungen in immer kürzeren Zyklen mitzugestalten und die Potentiale ihrer Mitarbeiter*innen abzurufen – sie sind zugleich Betroffene und Gestalter*innen in der digitalen Transformation. Als erfolgsversprechender Ansatz wird der sogenannte transformationale Führungsstil gesehen. Einfluss durch Vorbildlichkeit und Glaubwürdigkeit, motivieren durch begeisternde, aber realisierbare Visionen, Anregung zur kritischen Reflexion, Förderung kreativen Denkens und individuelle Unterstützung, Wertschätzung und Förderung – das sind die Facetten eines modernen Führungsverhaltens, das in zahlreichen internationalen Studien und Meta-Analysen seine Wirksamkeit bei der Implementierung von Veränderungsprozessen gezeigt hat.


Fazit

„Moderne Arbeit präventiv gestalten, gesund und kompetent bewältigen“ – ist machbar! Man muss es nur wollen und professionell angehen. Gestaltungsfelder für eine gelingende Umsetzung wurden in diesem Beitrag beschrieben.

Weiterführende Informationen
Der Beitrag gibt in modifizierter Form das Fazit aus dem aktuellen Forschungsbericht des Autors zum mehrjährigen BMBF-Projekt „Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen“ (MEgA) wieder. Literaturhinweis: Sonntag, Kh. (Hrsg.) (2020). Moderne Arbeit präventiv gestalten, gesund und kompetent bewältigen. Das Projekt MEgA. Asanger Verlag.

Kontakt
Karlheinz Sonntag, Prof. Dr., Seniorprofessor
E-Mail: karlheinz.sonntag@psychologie.uni-heidelberg.de
Universität Heidelberg, Arbeitsforschung und Organisationsgestaltung