Digitalisierung und Stress bei Kindern und Jugendlichen

Tamara Scholze, Prof. Dr. Gerhild Nieding, Dr. Wienke Wannagat, Bayerischer Forschungsverbund "ForDigitHealth"
an der Professur für Entwicklungspsychologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Knapp 40 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland fühlen sich gestresst. Als Stressauslöser werden unter anderem digitale Technologien und Medien wie zum Beispiel Instagram, Snapchat oder WhatsApp genannt, die von Kindern und Jugendlichen heutzutage täglich genutzt werden. Ständig vernetzt zu sein und überall teilnehmen zu können – das bestimmt einen Teil des Alltags.

Die Nutzung sozialer Netzwerke kann zur Erhöhung des Selbstwertes beitragen.

Je häufiger Jugendliche soziale Netzwerke nutzen, desto mehr haben sie das Gefühl, dazu zu gehören; die Heranwachsenden fühlen sich mittendrin, was zu einem höheren Wohlbefinden führen kann.1

Häufiges Nutzen sozialer Netzwerke kann jedoch auch dazu führen, dass wichtige Aufgaben, bei Kindern und Jugendlichen sind dies meist die Hausaufgaben, vernachlässigt werden. Dieses Verhaltensmuster kann zu Stress führen – genau genommen zu digitalem Stress: Es stehen nicht genügend (kognitive) Ressourcen zur Verfügung, diesen wahrgenommenen oder tatsächlichen Anforderungen gleichzeitig nachzukommen.

Auslöser für digitalen Stress

Zusätzlich zu dem beschriebenen Beispiel werden weitere sogenannte Stressoren, also Auslöser für digitalen Stress bei Jugendlichen, diskutiert: Die bereits erwähnte ständige Nutzung sozialer Netzwerke kann zu einer Überlastung führen, wenn die Flut an Nachrichten und Benachrichtigungen in den unterschiedlichen Netzwerken zu viel wird (Connection Overload). Auch erwarten Freunde oft, dass man jederzeit erreichbar ist (Availability Stress) und möglichst schnell antwortet (Social Pressure), egal ob man gerade an den Hausaufgaben sitzt oder nicht. In die Chatgruppe der Freunde wird man vielleicht gar nicht erst eingeladen, oder, wenn man drin ist, schlecht behandelt (Cybermobbing).

Wenn Kinder und Jugendliche sich durch soziale Netzwerke gestresst fühlen, könnte man ihnen nun den Rat geben, dass sie diese nicht mehr nutzen sollen. Leider ist das in der Praxis oft nicht so einfach.

Werden soziale Netzwerke nicht mehr genutzt, kann schnell das Gefühl entstehen, wichtige Informationen zu verpassen. Schnell kreisen die Gedanken um das, was einem wohl gerade (in der digitalen Welt) entgeht.

Auch diese Angst, etwas zu verpassen (Fear of Missing out) ist ein möglicher Stressor.

(Digitaler) Stress hat sowohl kurz- als auch langfristig negative Folgen. Er kann mit einer verminderten kognitiven Leistungsfähigkeit einhergehen. Weitere negative Auswirkungen sind unter anderem eine verkürzte Schlafdauer, längere Einschlafphasen und nächtliches Aufwachen. Außerdem können digitale Medien einen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung des eigenen Körperbildes haben, was wiederum die Entstehung anderer Krankheiten (z. B. Essstörung) begünstigt. Auch Depressionen und Angststörungen können eine Folge von (digitalem) Stress sein.

Was zeichnet einen guten Umgang mit digitalem Stress aus?

Es gibt bereits Handlungsempfehlungen in der Literatur, die Möglichkeiten aufzeigen, einzelnen Auslösern digitalen Stresses entgegenzuwirken. Zum Beispiel kann es helfen, mit den Freunden Regeln zu vereinbaren, wann man erreichbar ist. Dies hat den Vorteil, dass niemand Angst haben muss, irgendetwas zu verpassen, wenn das Handy zur Seite gelegt wird. An dem eigenen Smartphone kann man ebenfalls einstellen, wie lange man eine App benutzen möchte, um nicht – vertieft in der App – die Zeit zu vergessen. Das Gefühl der Überforderung durch zu viele Informationen und Nachrichten verschiedener Apps kann reduziert werden, indem Benachrichtigungen ausgestellt werden, sodass man erst eine Nachricht sieht, wenn man die jeweilige App öffnet. Es hilft außerdem, sich auf eine einzelne App, also eine Tätigkeit, zu fokussieren und nicht ständig zwischen verschiedenen Anwendungen zu wechseln.

In unserer aktuellen Forschung untersuchen wir weitere Wege, die gegen digitalen Stress helfen könnten. Wir nehmen dabei an, dass das Wissen über Strategien im Umgang mit digitalem Stress und selbstregulative Fähigkeiten dabei helfen, diesen zu reduzieren.

Je mehr eine Person sich selbst regulieren kann, desto weniger Stress empfindet sie. Sogenannte kognitive Selbstregulation ist notwendig, um sich schnell an unerwartete Situationen anpassen zu können. Eine Fähigkeit, die auch für digitalen Stress wichtig sein könnte. Solche Fähigkeiten sowie das Wissen über Strategien zur Vermeidung von digitalem Stress sind, so nehmen wir an, Teil einer allgemeinen Medienkompetenz. Aus der eigenen Forschung wissen wir, dass Medienkompetenz mit akademischen Vorläuferfähigkeiten im Vorschulalter2 und akademischen Kompetenzen im Jugend- und Erwachsenenalter3 zusammenhängt und somit indirekt eventuell auch zur psychischen Gesundheit beitragen könnte.

Das Thema digitaler Stress sowie die möglichen (Langzeit-)Folgen zeigen, wie wichtig es ist, den adäquaten Umgang mit digitalen Technologien und Medien zu lernen. In unserer Forschung arbeiten wir daran, weitere Erkenntnisse zu einer auf digitalen Stress bezogenen Medienkompetenz zu sammeln. Das Wissen über digitalen Stress sowie das Wissen über mögliche Strategien sind erste Schritte zum Schutz.


Quellenverweise
1 Best, P., Manktelow, R. & Taylor, B. (2014). Online communication, social media and adolescent wellbeing: A systematic narrative review. Children and Youth Services Review, 41, 27–36. https://doi.org/10.1016/j.childyouth.2014.03.001
2 Nieding, G., Ohler, P., Diergarten, A. K., Möckel, T., Rey, G. D. & Schneider, W. (2017). The Development of Media Sign Literacy—A Longitudinal Study With 4-Year-Old Children, Media Psychology, 20(3), 401-427, DOI: 10.1080/15213269.2016.1202773
3 Braun, C., Gralke, V. M. & Nieding, G. (2018). Medien und gesellschaftlicher Wandel. In M. Karidi, M. Schneider & R. Gutwald (Hg.), Resilienz (S. 177–202). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_10


Kontakt
Tamara Scholze
Professur für Entwicklungspsychologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
tamara.scholze@uni-wuerzburg.de