BGM goes digital

Prof. Dr. Mustapha Sayed BARMER, FOM - Hochschule für Ökonomie und Management Berlin

Schlagworte wie „Wirtschaft 4.0“ und „Arbeit 4.0“ kennzeichnen die weltweite Entwicklung zu einer global vernetzten Wirtschaft auf Basis virtuell-digitaler Techniken. Die zunehmenden Angebote an neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) haben die Arbeitswelt stark verändert und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Die Bundesregierung hat bereits 2016 den digitalen Wandel als eine der zentralen Aufgaben und zukünftigen Herausforderungen in der Arbeitswelt erkannt.1 Mittlerweile hat dieser Trend alle Sektoren und Branchen erreicht, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß. Der zunehmende Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien führt zu einer Flexibilisierung, Dezentralisierung und Entgrenzung von Arbeit, die wiederum zu neuen Herausforderungen in der Kommunikation, Kooperation, Qualifikation und der Führung von Mitarbeiter*innen führen.2

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeitswelt

Die Corona-Pandemie scheint diese Flexibilisierung und Digitalisierung von Bildung, Kommunikation und Arbeitswelt in erheblichem Maße beschleunigt zu haben, wie die aktuelle Studie „socialhealth@work“ der Universität St. Gallen und der BARMER zeigt. Während vor der Pandemie durchschnittlich 15,9 Stunden pro Woche mobil gearbeitet wurde, ist die Zahl während der Pandemie auf 35,7 Stunden (Tendenz in den letzten Wochen und Monaten steigend) angewachsen.3 Die dadurch veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen konfrontieren auch die Beschäftigten der Unternehmen mit immer neuen Anforderungen und Belastungen. Ein Ergebnis der repräsentativen Studie „socialhealth@work“ ist, dass mobil arbeitende Beschäftigte, die bereits ein hohes Know-how im Umgang mit digitalen Anwendungen haben, im Vergleich zu ebenfalls mobil Arbeitenden ohne dieses Wissen über weniger Schlafprobleme (-18,3 Prozent) und über weniger Stress (-6,4 Prozent) klagen.

Neben den Kompetenzen der Beschäftigten wirkten sich die Fähigkeiten der Leitung, virtuell zu kommunizieren und zu führen, auf die Gesundheit und Produktivität der Beschäftigten aus.

Mobile Beschäftigte, deren Vorgesetzte die virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten kompetent und effektiv einsetzten, schätzten ihre Produktivität um 10 und ihre Arbeitszufriedenheit um 48,3 Prozent höher ein als Beschäftigte, deren Führungskräfte nicht über entsprechende digitale Skills verfügten. Sie klagten zudem weniger über Stress (-15,5 Prozent) und beschäftigten sich weniger mit dem Gedanken an eine Kündigung (-40,7 Prozent) als mobil Arbeitende mit Vorgesetzten ohne digitale Führungskompetenz. 3

Die oben skizzierte fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt hat auch weitreichende Folgen für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM). Zum einen sind die Beschäftigten durch flexible Arbeitsorte schwieriger am Arbeitsplatz zu erreichen. Zum anderen steigen durch die ständige Erreichbarkeit die Anforderungen hinsichtlich der Selbstorganisation an die Beschäftigten, da die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit immer schwieriger wird4 – insbesondere im aktuell weit verbreitendem Home-Office. Vor diesem Hintergrund wird es immer wichtiger, dass Unternehmen nicht nur auf die fachliche Qualifikation ihrer Beschäftigten achten, sondern durch die Implementierung eines BGM den Erhalt einer gesunden, motivierten und leistungsfähigen Belegschaft sicherstellen.

Nur gesunde Beschäftigte sind in der Lage, motiviert und leistungsfähig zu sein, weshalb Gesundheit ein entscheidender Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor ist.

Das gilt sowohl für Großunternehmen als auch für Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU).5

Digitale Möglichkeiten im BGM

Der digitale Fortschritt bietet den Unternehmen aber auch neue Möglichkeiten im BGM. Unternehmen stehen im Rahmen des BGM häufig vor der Herausforderung, weniger gesundheitsaffine Beschäftigte für BGM-Maßnahmen zu gewinnen.6 Digitale Lösungen im BGM können Unternehmen durch neue und innovative Angebote bei der Etablierung eines nachhaltigen Gesundheitsmanagements unterstützen. Sie ermöglichen die Verzahnung von individueller und unternehmensbezogener Gesundheitsförderung. Der Einsatz von onlinebasierten Gesundheitsinterventionen oder Gesundheits-Apps kann die Motivation dieser Beschäftigten erhöhen. Ferner können neue Zielgruppen erreicht werden, für die es bislang auf dem Gesundheitsmarkt wenig geeignete BGM-Angebote gibt, wie beispielsweise für Außendienstmitarbeiter*innen, Leiharbeiter*innen oder Beschäftigte von Unternehmen mit kleinen Standorten. Es ist zu beobachten, dass sowohl eHealth- als auch mHealth-Anwendungen (engl. für mobile Gesundheit) in den letzten Jahren im BGM zunehmend an Bedeutung gewonnen haben.7 Die Bezeichnung eHealth wird als die Anwendung elektronischer Geräte zur medizinischen Versorgung definiert.8 Darüber hinaus können digitale Gesundheitsplattformen Unternehmen dabei unterstützen, im BGM Prozesse zu steuern und Kennzahlen zu generieren.5

Wichtig ist ebenso, dass Unternehmen nicht nur auf Verhaltensänderungen der Mitarbeitenden setzen. Unternehmen, die sich ernsthaft mit BGM auseinandersetzen, müssen auch die Verhältnisebene berücksichtigen. Ziel sollte es sein, u.a. das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbedingungen gesundheitsförderlich zu gestalten. Entscheidend für den Erfolg (digitaler) Angebote in Unternehmen ist die Akzeptanz auf Seiten der Konsument*innen und somit der Belegschaft. Zur Sensibilisierung für Gesundheitsmaßnahmen ist im BGM weiterhin der persönliche Austausch mit den Mitarbeitenden von enormer Bedeutung.

Daher ist für ein nachhaltiges und ganzheitliches BGM die Verknüpfung von Onlineangeboten mit Präsenzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu empfehlen.

Eine tragende Rolle bei der Umsetzung von BGM-Maßnahmen kann dabei die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) spielen. Die Einführung des Präventionsgesetzes (PrävG) im Jahr 2015 hat den Stellenwert der Prävention – insbesondere im betrieblichen Kontext – nochmal unterstrichen. Der Gesetzgeber hat mit dem PrävG ausdrücklich das Ziel formuliert, eine stärkere Verankerung der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) auch in KMUs zu erreichen. Damit Leistungen der BGF durch Krankenkassen finanziert werden können empfiehlt sich die Beteiligung einer Krankenkasse von Beginn an.

Auch wenn Betriebe als geeignete Lebenswelt für Maßnahmen der Gesundheitsförderung anzusehen sind, so wird ein langfristiges Ziel darin zu sehen sein, settingübergreifende Konzepte zu entwickeln. Gesundheitliche Chancengleichheit und die Notwendigkeit der Bekämpfung der gesundheitlichen Ungleichheit ist in den letzten 15 Jahren zu einem Schwerpunkt und Ziel vieler Akteur*innen, Programmen und Initiativen geworden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um „Health for all – Health in all policies“ umzusetzen. Sie erfordert eine an den sozialen und politischen Determinanten orientierte gesundheitsfördernde Gesamtpolitik.9


Literatur
1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016): Foresight-Studie „Digitale Arbeitswelt“. Forschungsbericht 463. Berlin
2 Hirsch-Kreinsen, H.; Weyer, J. (Hrsg.) (2014): Wandel von Produktionsarbeit - "Industrie 4.0". Technische Universität Dortmund (TU Dortmund). Dortmund (Soziologisches Arbeitspapier, 38/2014).
3 BARMER (Hrsg.) (2020): Socialhealth@work. Eine Studie zur Auswirkung der Digitalisierung der Arbeitswelt auf die Gesundheit der Beschäftigten in Deutschland. Wuppertal: Druckerei Rudolf Glaudo GmbH & Co. KG.
4 Ahlers, E. (2015): Anspruch und Wirklichkeit des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in einer sich verändernden Arbeitswelt. In: Badura, B; Ducki, A.; Schröder, H.; Klose, J.; Meyer, M. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2015. Neue Wege für mehr Gesundheit – Qualitätsstandards für ein zielgruppenspezifisches Gesundheitsmanagement. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag. 39-47.
5 Sayed, M.; Kubalski, S. (2017): BGM im digitalen Zeitalter – Herausforderungen und Möglichkeiten. In: Matusiewicz, D; Kaiser, L. (Hrsg.): Digitales Betriebliches Gesundheitsmanagement – Theorie und Praxis. Wiesbaden: Springer Verlag. 553-573.
6 Walter, U.N.; Maes, F. (2015): Virtuelle Gesundheitshelfer. Personalmagazin 09/2015. 48-50.
7 Peters, T.; Klenke, B. (2016): eHealth und mHealth in der Gesundheitsförderung. In: Ghadiri, A.; Ternès, A.; Peters., T. (Hrsg.): Trends im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Wiesbaden: Springer Verlag. 107-122.
8 Gigerenzer, G.; Schlegel-Matthies, K.; Wagner, G. G. (2016): Digitale Welt und Gesundheit. eHealth und mHealth – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.) Berlin: Sachverständigenrat für Verbraucherfragen.
9 Sayed, M; Brandes, I. (2020): BGM vor dem Hintergrund des Präventionsgesetzes und des digitalen Wandels. In: Matusiewicz , D. Kardys, C.; Nürnberg, V. (Hrsg.): Betriebliches Gesundheitsmanagement: analog und digital. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. 20-28.

Kontakt
Prof. Dr. Mustapha Sayed
BARMER, FOM - Hochschule für Ökonomie und Management
E-Mail: mustapha.sayed@barmer.de