Einsamkeit im Wandel unserer Gesellschaft

Aline Beckers Ruhr-Universität Bochum, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Immer mehr Menschen empfinden heutzutage Einsamkeit. In einer repräsentativen Befragung im Jahr 2019 fühlten sich 17% der Deutschen häufig oder ständig und 30% manchmal einsam1.
Diese Zahlen zeigen, dass sich ein Großteil der Menschen regelmäßig einsam fühlt und verdeutlichen somit die Relevanz des Themas.

Was ist Einsamkeit?

In der Psychologie wird Einsamkeit als ein unangenehmes und schmerzliches Gefühl definiert, das Menschen aufgrund einer Unzufriedenheit mit ihren sozialen Beziehungen empfinden. Diese Unzufriedenheit kann sowohl bezüglich der wahrgenommenen Qualität als auch der wahrgenommenen Quantität der sozialen Beziehungen entstehen2. Trotz des Zusammenhangs zwischen Einsamkeit und sozialer Isolation, sind diese voneinander abzugrenzen. Einsamkeit ist ein subjektiv empfundener Zustand, welcher schlecht von Außenstehenden zu beurteilen ist. Soziale Isolation hingegen bezieht sich auf objektive Merkmale der Situation (z.B. das Fehlen eines breiten sozialen Netzwerks oder das Alleinsein). So gibt es Personen, die sich trotz der Gesellschaft von Anderen einsam fühlen. Umgekehrt gibt es Personen, die objektiv sozial isoliert sind und dennoch keine Einsamkeit empfinden.

Wer ist in unserer Gesellschaft einsam?

Im Allgemeinen können sich Menschen in jeder Lebensspanne einsam fühlen. Jedoch zeichnen sich in verschiedenen Studien Altersgruppen mit einem erhöhten Risiko ab.

Besonders junge Erwachsene (18-29 Jahre) und ältere Menschen (65+ Jahre) sind vermehrt einsam.

Außerdem ist der Beziehungsstatus mit Einsamkeit verbunden: Verwitwete, geschiedene oder unverheiratete Personen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, einsam zu sein als verheiratete Personen. Weitere Risikofaktoren sind das Alleinleben und ein geringer sozioökonomischer Status (niedriges Einkommen, geringes Bildungsniveau)3.

Neben diesen soziodemographischen Faktoren spielen auch Persönlichkeitseigenschaften eine Rolle. Diesbezüglich ist die Studienlage für den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und den Persönlichkeitseigenschaften Extraversion (gesellig, tatkräftig, optimistisch) und Neurotizismus (sprunghaft in den Emotionen, übermäßig besorgt) am robustesten. Extravertierte Personen erfahren durchschnittlich weniger Einsamkeit als wenig extravertierte Personen. Bezüglich Neurotizismus zeigt sich folgender Zusammenhang: Je neurotischer Personen sind, desto einsamer sind diese4. Die genannten Faktoren führen jedoch nicht zwingend zu Einsamkeit, sondern erhöhen nur das Risiko, sich einsam zu fühlen.

Gesundheitliche Folgen von Einsamkeit

Die meisten Menschen erfahren im Laufe ihres Lebens vorübergehende Einsamkeitsgefühle, sodass Einsamkeit eine normale menschliche Erfahrung darstellt. Jedoch sind ca. 10-20% der Deutschen von chronischer Einsamkeit betroffen, welche ein Risiko für eine schlechte Gesundheit darstellt.

Bezüglich der körperlichen Gesundheit ist Einsamkeit mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schlechten Schlaf und entzündliche Prozesse verbunden.

Auf der kognitiven Ebene geht Einsamkeit mit einer verschlechterten kognitiven Leistung und einem erhöhten Risiko für Alzheimererkrankungen einher. Bezüglich der psychischen Gesundheit zeigten verschiedene Studien, dass Einsamkeit mit Angststörungen, Depression und psychotischen Symptomen zusammenhängt3. Insgesamt wird Einsamkeit konsistent mit Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht, die zu einem höheren Risiko für eine frühe Morbidität und Mortalität führen. Grundlage dafür könnten ungünstige Gesundheitsverhalten sowie neurobiologische und genetische Mechanismen sein. Jedoch handelt es sich bei vielen dieser Studienergebnisse um korrelative Befunde, sodass nicht klar ist, ob Einsamkeit sich negativ auf die Gesundheit auswirkt, ob eine schlechte Gesundheit zu erhöhter Einsamkeit führt oder ob beide Wirkrichtungen eine Rolle spielen.

Der Einfluss von sozialen Medien

Bezüglich der Frage, ob soziale Medien Einsamkeit beeinflussen, liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor.

Einerseits sprechen einige Studienergebnisse dafür, dass eine starke Nutzung von sozialen Medien mit einer geringeren Einsamkeit einhergeht (negativer Zusammenhang)5. Andere Studien hingegen legen nahe, dass eine starke Mediennutzung mit einer erhöhten Einsamkeit zusammenhängt (positiver Zusammenhang)6.

Eine mögliche Erklärung für diese widersprüchlichen Studienergebnisse könnten verschiedene Motive der Nutzung von sozialen Medien darstellen. Die Verdrängungsthese beschreibt, dass Einsamkeit durch die soziale Medien Nutzung steigt, wenn Offline-Beziehungen durch Online-Aktivitäten verdrängt werden. Diese Art der Mediennutzung findet vermehrt bei einsamen Personen statt, diese verlagern ihre sozialen Kontakte in die digitale Welt. Werden soziale Medien jedoch genutzt, um bestehende Beziehungen zu verstärken und neue Beziehungen aufzubauen, kann dies Einsamkeit reduzieren (Stimulationsthese). So findet man bei weniger einsamen Menschen eine größere Überlappung zwischen Online- und Offlinekontakten7.

Wie verändert sich Einsamkeit durch die Maßnahmen zur Einschränkung des Corona-Virus?

Bezüglich kurzfristiger Auswirkungen zeigte eine Tagebuch-Studie, dass Einsamkeit im Durchschnitt in den ersten zwei Wochen des ersten Lockdowns in Deutschland leicht anstieg, anschließend jedoch auch wieder sank. Diese Veränderungen unterschieden sich bei verschiedenen Personengruppen. Je älter Menschen waren, desto stärker war der Anstieg in der Einsamkeit über die vier Wochen hinweg. Trotzdem war die Einsamkeit bei jüngeren Menschen im Durchschnitt höher als bei älteren Menschen. Auch die Familiensituation schien mit dem Einsamkeitsverlauf zusammenzuhängen: Bei Personen ohne Kinder nahm die Einsamkeit tendenziell über die Zeit ab oder blieb relativ stabil, bei Eltern jedoch nahm die Einsamkeit eher zu4. Andere Studien deuten jedoch an, dass es Anstiege in der Einsamkeit während der Pandemie gibt8.

Die Frage nach dem Einfluss von den Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus ist nicht abschließend zu beantworten, da sich die Maßnahmen ständig verändern und darüber hinaus mögliche Langzeitfolgen noch nicht absehbar sind. Eine mögliche langfristige Entwicklung könnte die Normalisierung der sozialen Kontakte der meisten Menschen sein. Bei diesen wird sich das Einsamkeitsempfinden vermutlich wieder legen. Problematisch könnte dies für Personen sein, die sich schon vor der Pandemie einsam gefühlt haben. Wenn diese merken, dass alle wieder zurück zu ihrem wenig einsamen Alltag kehren und sie selbst sich jedoch weiterhin einsam fühlen. Die Entwicklung des Einsamkeitsempfinden sollte daher weiterhin kritisch beobachtet und erforscht werden, damit man den Menschen, bei denen sich Einsamkeit während der Pandemie verfestigt hat, frühzeitig Hilfen anbieten kann.


Literatur
1Splendid Research GmbH. (2019). Wie einsam fühlen sich die Deutschen? Eine repräsentative Umfrage unter 1.006 Deutschen zum Thema Einsamkeit. Hamburg. Abgerufen am 13.03.2021 unter https://www.splendid-research.com/studie-einsamkeit.html
2Perlman, D. & Peplau, L. A. (1981). Toward a social psychology of loneliness. In S. Duck & R. Gilmour (Hg.), Personal Relationships in Disorder (S. 31–56). Academic Press.
3Lim, M. H., Eres, R. & Vasan, S. (2020). Understanding loneliness in the twenty-first century: An update on correlates, risk factors, and potential solutions. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 55(7), 793–810. https://doi.org/10.1007/s00127-020-01889-7
4Buecker, S., Maes, M., Denissen, J. J. A. & Luhmann, M. (2020). Loneliness and the Big Five personality traits: A meta–analysis. European Journal of Personality, 34(1), 8–28. https://doi.org/10.1002/per.2229
5Appel, M., Marker, C. & Gnambs, T. (2020). Are social media ruining our lives? A review of meta-analytic evidence. Review of General Psychology, 24(1), 60–74. https://doi.org/10.1177/1089268019880891
6Ryan, T., Allen, K. A., Gray, D. L. & McInerney, D. M. (2017). How social are social media? A review of online social behaviour and connectedness. Journal of Relationships Research, 8(E8). https://doi.org/10.1017/jrr.2017.13
7Nowland, R., Necka, E. A. & Cacioppo, J. T. (2018). Loneliness and social internet use: Pathways to reconnection in a digital world? Perspectives on Psychological Science, 13(1), 70–87. https://doi.org/10.1177/1745691617713052
8Entringer, T., Kröger, H., Schupp, J., Kühne, S., Liebig, S., Goebel, J., Grabka, M. M., Graeber, D., Kroh, M., Schröder, C., Seebauer, J., & Zinn, S. (2020). Psychische Krise durch Covid-19? Sorgen sinken, Einsamkeit steigt, Lebenszufriedenheit bleibt stabil. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.791307.de/diw_sp1087.pdf


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