Zukunft der Arbeitswelt

Ansatzpunkte für eine gesundheitsförderliche Gestaltung

Prof.in Renate Rau Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Digitalisierung in der Arbeitswelt hat mit der Einführung von Computern in die Unternehmen in den 80er Jahren und deren Vernetzung ab den 90er Jahren begonnen. Zu dieser Zeit haben wir dies aber noch nicht so genannt. Spätestens seit Prozessoren nicht nur in Personalcomputern verbaut werden, sondern auch in Arbeitsmitteln (d. h. Maschinen, Werkzeugen etc.) und Arbeitsgegenständen (also das, woran gearbeitet wird) und diese dann auch noch miteinander kommunizieren konnten (Internet, W-LAN, Bluetooth…), sprechen wir von der Digitalisierung der Arbeit und im beschriebenen Fall von cyberphysischen Systemen.

Wenn wir uns nur die Arbeit anschauen, die bisher vom Menschen geleistet wurde, dann lassen sich prinzipiell alle die Tätigkeiten digitalisieren, die nach Wenn-Dann-Regeln funktionieren (Algorithmen). Dies ist ein relativ großer Teil der Arbeit. Es handelt sich zum einen um sogenannte Einfachtätigkeiten, zum anderen aber auch um viele Verwaltungs- und Bürotätigkeiten. Dabei verschwindet nicht unbedingt der ganze Beruf. Vielmehr sind es einzelne Tätigkeitsbestandteile, die sich verändern oder durch Digitalisierung entfallen. Im guten Sinne könnte Digitalisierung und Automatisierung Menschen von nicht menschengerechten Anforderungen entlasten. Nicht digitalisierbar sind die Wissensarbeit und alle die Arbeitstätigkeiten, die sogenannte Emotionsarbeit beinhalten (z.B. Erziehungs-, Pflegearbeit).


Wie muss eine digitale Arbeitswelt gestalten werden?

Durch die Digitalisierung entstehen viele neue Berufe und die Arbeitsanforderungen in bestehenden Berufen verändern sich. Letztes setzt voraus, dass sich Menschen entsprechend den verändernden Arbeitsanforderungen weiterqualifizieren und damit anpassen können. Damit sind aber weniger extra durchgeführte Qualifizierungsmaßnahmen gemeint. Vielmehr muss Arbeit so gestaltet sein, dass ein Lernen bei der Arbeit („im Tun“) möglich wird. Solche lernförderlich gestaltete Arbeit hat den großen Vorteil, dass sie gleichzeitig die Motivation fördert. Merkmale dieser Arbeitsgestaltung sind die Möglichkeit, die eigene Arbeit zu planen, das Bestehen von Handlungs- und Entscheidungsspielraum für die eigene Arbeit, Rückmeldungen und Verantwortung. Hintergrund ist, dass wir immer dann lernen, wenn wir die Möglichkeit haben, eigene Handlungspläne zu entwerfen oder eigene Arbeitsweisen zu entwickeln, umzusetzen (= Handlungs- und Entscheidungsspielraum) und aufgrund von Rückmeldungen zu korrigieren oder anzupassen. Vereinfacht gesagt, wenn wir neue Vorgehensweisen selber entwickeln und einsetzen können, erhalten wir durch die Rückmeldungen die Information, ob unser Vorgehen richtig und angemessen oder falsch war. Dadurch Lernen wir. Natürlich müssen wir für unsere Arbeit auch die Verantwortung haben, um die Arbeitsergebnisse auf unser eigenes Tun rückführen zu können.

Mit der Vernetzung von Arbeitsplätzen erhalten viele Arbeitende die Möglichkeit jederzeit von jedem Ort aus ihre Arbeit zu verrichten.

Wenn diese zeitliche und örtliche Flexibilität selbstbestimmt genutzt werden kann, wird sich dies förderlich auf die erlebte Work-Life-Balance auswirken und damit die Möglichkeit, das eigene Leben besser zu gestalten.


Herausforderungen einer digitalen Arbeitswelt

Neben den beschriebenen Chancen durch Digitalisierung und Vernetzung von Arbeit ergeben sich aber auch Risiken. So können auch für die menschliche Arbeit bedeutende Arbeitsinhalte und Arbeitsplätze verloren gehen. Durch eine vermehrte Arbeitsteilung, die beispielsweise die Arbeitskoordination an Computer überträgt, können Tätigkeiten partialisiert und damit unter anderem monotoner und stressender werden. Bei fremdbestimmten zeitlichen und örtlichen Flexibilitätsanforderungen kann eine Entgrenzung von Arbeit in den Nichtarbeitsbereich stattfinden. Dies lässt sich durch die Zunahme von Arbeit außerhalb regulärer Arbeitszeiten bereits beobachten. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Entgrenzung von Arbeit in die Lebenszeiten außerhalb regulärer Arbeit insbesondere die eigentlich als besser bewerteten Arbeitsplätze trifft. Es sind Arbeitsplätze mit viel Handlungsspielraum und hohen Anteilen von Wissensarbeit und/oder Kooperationen erfordernde Arbeit. Eine wesentliche Ursache hierfür ist, dass für Wissensarbeit der erforderliche Zeitbedarf nur sehr schwer im Vorhinein abschätzbar ist. Die gesetzten Termine entsprechen dadurch häufig nicht der benötigten Zeit. Im Ergebnis nutzen die betroffenen Personen ihren Handlungsspielraum selbstgesteuert dazu, länger und auch von zu Hause aus weiter zu arbeiten. Bereits wenn eine Person aus einer Arbeitsgruppe nur noch so die Termine halten kann, wird diese die Arbeitszeiten der anderen mitbestimmen (z.B. dringende Mail außerhalb der Arbeitszeit an Kolleg*innen, weil eine wichtige Information für die eigene Arbeit gebraucht wird). Die Arbeit wird zu Lasten anderer Lebensbereiche ausgedehnt, was zu Konflikten und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Verhindern lässt sich eine solche Entgrenzung von Arbeit nur dadurch, dass Zeitplanungen von Beginn an und im Fortlauf immer wieder an den Arbeitsstand angepasst werden. Dies wird nur in gemeinsamen Absprachen zwischen Auftraggeber*in und Auftragnehmer*innen gehen und erfordert, dass Zeitpunkte für die Anpassung von Zeitplänen gemeinsam festgelegt werden.


Gesundheitliche Risiken von Entgrenzung

Bleibt die Entgrenzung bestehen, erhöht sich das Risiko arbeitsbedingter Beeinträchtigungen bis hin zu Erkrankungen. Unsere Studien zeigen, dass die Erreichbarkeit für Arbeitsanforderungen außerhalb der regulären Arbeitszeit die Erholungsfähigkeit massiv beeinträchtigt. Dies zeigte sich unabhängig davon, ob Erreichbarkeit angewiesen oder freiwillig gewählt worden war. Damit im Einklang stehen skandinavische Studienergebnisse, die eine Zunahme von Gesundheitsrisiken fanden, wenn die nach Arbeitszeitgesetz vorgeschriebene durchgehende Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen bzw. –schichten durch Arbeitsaufgaben (Erreichbarkeit) unterbrochen wird.


Die Zukunft der Arbeitswelt muss aktiv mitgestaltet werden

Aktuell werden komplexe technische Systeme und Technologien aus Sicht technischer und wirtschaftlicher Machbarkeit entwickelt. Dies birgt die Gefahr, dass die daraus resultierenden Anforderungen an die verbliebenen menschlichen Tätigkeiten nur noch Restfunktionen sind, die seitens der Technik nicht oder nur teuer ausführbar sind. Das Verhältnis von Technik und Arbeit war aber weder in der Vergangenheit, noch ist es in der Zukunft bedingungslos vorgegeben, sondern muss aktiv mitbestimmt werden. Welche Arbeitsanteile vom Menschen und welche von der digitalisierten, vernetzten Technik übernommen werden sollen, kann dabei weder allein von dem, was technisch möglich ist, noch vom dem, was wirtschaftlich vorteilhaft ist, beantwortet werden. Genauso ist es notwendig, die zeitliche und örtliche Flexibilität der Arbeit aktiv zu planen und dabei die Bedürfnisse des Arbeitenden mit einzubeziehen. Entscheidend sind die Auswirkungen auf den Menschen. Dabei sollte das Ziel eine lern- und gesundheitsfördernde Arbeitsgestaltung sein, die es dem Menschen erlaubt, sich anzupassen, weiterzuentwickeln und dabei gesund zu bleiben.


Ausführlich zum Nachlesen:
Rau, R. & Hoppe, J. (2019), Neue Technologien und Digitalisierung in der Arbeitswelt. Erkenntnisse für die Prävention und Betriebliche Gesundheitsförderung.. iga.Report 41, Initiative Gesundheit und Arbeit (iga). Online: https://www.iga-info.de/fileadmin/redakteur/Veroeffentlichungen/iga_Reporte/Dokumente/iga-Report_41_Digitalisierung.pdf (letzter Zugriff: 26.02.2021)

Rau, R. & Göllner, M. (2019). Erreichbarkeit gestalten, oder doch besser die Arbeit? Zeitschrift für Arbeits- & Organisationspsychologie, 63, 1–14. https://doi.org/10.1026/0932-4089/a000284

Hassler, M. & Rau, R. (2016). Ständige Erreichbarkeit: Flexibilisierungsanforderung oder Flexibilisierungsmöglichkeit? Wirtschaftspsychologie, 18(2), 25–34.


Prof.in Renate Rau
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Psychologie, Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie